Dankbar in allen Situationen?

Quelle:  pixabay
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„Manchmal kommt ihr alles vor wie ein böser Traum. Manchmal wacht sie morgens auf und will los und erst dann fällt es ihr wieder ein. Manchmal ist ihr das alles unendlich peinlich.

 

Sie hatte ihre Arbeit, sie hatte ihre Kinder, die geliebte Wohnung im elften Stock mit Blick über die Plattenbauten von Hohenschönhausen in Berlin, und den Dauercampingplatz, auf dem sie ihre Freizeit verbrachte. Dann wurde sie arbeitslos. Fristlos gekündigt wegen des Verdachts, sie habe zwei Leergutbons eingelöst, im Wert von einem Euro und dreißig Cent. Die Rede ist von Barbara E. genannt Emily. Nach 31 Jahren wurde die Kassiererin der Handelskette Kaisers im August 2008 gekündigt. Beweisen ließ sich der Vorwurf gegen sie nicht. Muss auch niemand. Für eine Kündigung reicht der Verdacht.“ (https://www.stern.de/wirtschaft/job/gekuendigt-wegen-1-30-euro-tausche-abfindung-gegen-ehre-3429252.html ) Zurück aber bleibt eine bittere Enttäuschung, die das ganze Leben durchdringt ...

Und da hinein nun dieser Satz aus der Bibel (1. Thessalonicherbrief 5, 18)

 

 „Seid dankbar in allen Lebenssituationen! Denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch.“

 

Hätten Sie es gewagt, damals im Jahr 2008, der verstörten Kassiererin  Emily diesen Satz  zu sagen? Oder anders gefragt: Wenn Sie eines Tages in eine Lebenssituation von vergleichbarer Härte kämen: Könnten Sie ... würden Sie sich ausgerechnet diesen Satz  persönlich zu eigen machen: „Seid dankbar in allen Lebenssituationen! Denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch.“

Eine heikle Frage ... Ich persönlich glaube: Wenn wir unverschuldet in Lebenssituationen kommen, die uns mit ihrer Ungerechtigkeit und Härte die Sprache verschlagen, dann sind wir Lichtjahre von diesem Satz entfernt: Seid dankbar in allen Lebenssituationen! Denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch. Und wenn überhaupt, dann würden wir diese biblische Ermunterung nur mit einem gallebitterem Zynismus zitieren. Von nichts sind wir in solchen Situationen weiter entfernt, als ausgerechnet von Dankbarkeit.

Trotzdem steht sie da in der Bibel, diese sperrige Aufforderung: Seid dankbar in allen Lebenssituationen! Denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch. Und irgendwie muss sie doch lebbar sein! Der Apostel Paulus, der diese Worte schrieb, hatte doch wohl kaum die Absicht, seine Leser zu verärgern oder sie mit unerfüllbaren Forderungen in den Wahnsinn zu treiben.

Pirschen wir uns also an dieses seltsame Statement heran ... Fragen wir zunächst: Was läuft in Menschen ab, wenn sie in knallharte Lebenslagen geraten, wenn alle Mittel ausgeschöpft sind, wenn die Kräfte erlahmen und nichts mehr geht? Was läuft in ihnen ab?

Meine Erfahrung ist: Viele (!) sind angefüllt mit bitterer Wut, wenn in solchen Situationen die Sprache auf den Lebendigen Gott kommt. Sie sagen (sinngemäß): Gott hat offensichtlich kein Interesse an mir. Ich bin ihm komplett gleichgültig. Er ist kalt. Oder: Gott ist schwach. Er ist inkompetent. Er ist nicht in der Lage, irgendwas für mich zu tun. Es ist ihm alles entglitten. Oder (noch etwas radikaler): Gott ist eine Illusion! Ich soll ihm danken? Wofür denn? Lächerlich!

Und damit ist klar: Wenn haarige Lebenssituationen kommen, wird die Allmacht Gottes verhandelt. Sie  ist der Gegenstand, der dann siedend-heiß zur Diskussion steht.

Ich muss sagen: Ich kann solche Gefühle gut verstehen! Und doch läuft da etwas falsch ...

Denn bitte: Gott hat nie und nirgendwo versprochen, dass er uns immerfort vor notvollen, schmerzhaften, dunklen Lebenssituationen bewahren und abschirmen wird. Wer ihm das unterstellt, kennt die Bibel nicht. Dort heißt es klipp und klar, dass diejenigen, die Gott folgen durch viele(!) Bedrängnisse und Schwierigkeiten ins Reich Gottes gelangen werden (Apostelgeschichte 14, 22). Das heißt: Auf dem Weg in der Nachfolge Jesu sind haarige Lebenssituationen vorprogrammiert. Gott führt seine Leute in solche Lagen hinein, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber nicht nur hinein, - sondern auch hindurch. Und immer wenn er so etwas tut, hat er ein Ziel dabei. Er beabsichtigt damit, ihnen (oder auch anderen Menschen um sie herum!) mittel- oder langfristig etwas Gutes zu tun. Das hat Gott ausdrücklich versprochen: Denen, die Gott lieben, heißt es an einer Stelle in der Bibel, müssen alle Dinge zum Besten dienen. Man könnte auch übersetzen: Denen, die Gott lieben, müssen alle Lebenssituationen (auch die haarigen) zum Besten dienen. Das hat Gott versprochen. Man kann ihn direkt beim Wort nehmen und darauf warten, dass er sein Versprechen einlöst.

Was heißt das für Sie und mich? Wenn wir in Lebenssituationen geraten, in denen uns Hören und Sehen vergehen, ist es wichtig, dass wir uns nicht von der Sturmflut der Gefühle überschwemmen lassen, die dann unweigerlich an uns herandrängen. Konkret: Es ist unerlässlich, dass wir im Tumult aufgeregter Gefühle das Vertrauen zu Jesus doch bewähren, in dem wir sagen: „Ich habe das Versprechen Gottes, dass mir alle Lebenssituationen zum Besten dienen müssen. Ich werfe darum jetzt mein Vertrauen zu ihm jetzt nicht weg, obwohl ich vielleicht nahe dran bin, sondern: Ich danke ihm, dass er trotz allem den Überblick hat. Ich danke ihm, dass er trotz allem der Herr meiner Lage ist. Ich danke ihm, dass er mich trotz allem liebt. Und ich danke ihm, dass er zu seiner Zeit und auf seine Weise meine Not wenden wird. „Danken bewahrt vorm Wanken!“, sagt ein altes Sprichwort. Und das ist wirklich wahr. Wenn wir in üblen Lebenslagen nicht bitter werden, sondern Gott dafür danken, dass er dennoch der Herr ist, dann werden wir erstens erleben, dass er zu seiner Zeit eingreift. Und wir werden zweitens erleben, dass wir selbst verändert werden: Wir werden im Vertrauen zu ihm wachsen und bei der nächsten üblen Lebenslage schon viel souveräner reagieren.

Sie meinen, das sei alles fromme Theorie? Ich glaube nicht! Hier ist ein Beispiel: In der Zeit des Hitler-Faschismus versteckte die holländische Christin Corrie ten Boom Juden in ihrem Haus in Haarlem. Einige Jahre ging alles gut. Aber dann wurde das Versteck entdeckt. Und Frau ten Boom wurde gemeinsam mit ihrer Schwester Betsie in ein deutsches Konzentrationslager deportiert. Frau ten Boom berichtet: „Der Umzug in die Baracke 28 erfolgte in der zweiten Oktoberwoche. Unsere Nasen sagten uns sofort, dass es hier sehr schmutzig war: das Stroh auf den Pritschen stank. Wir streckten uns aus, unterdrückten den Brechreiz, den der Gestank des Strohs verursachte. Plötzlich setzte ich mich auf. Etwas hatte mich ins Bein gestochen. „Flöhe!“, rief, ich, „Betsie, hier wimmelt es von ihnen! Wie können wir in einer solchen Höhle leben?“

Ich blätterte in unserer Bibel nach einer Antwort. „Seid allezeit fröhlich“, stand da im ersten Brief an die Thessalonicher. „Betet ohne Unterlass. Seid dankbar in allen Dingen, denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus ... 

„Das ist es Corrie“, hörte ich Betsies Stimme. „Das ist seine Antwort. „Seid dankbar in allen Dingen!“ Und das können wir jetzt gleich tun, Gott für alles in dieser neuen Baracke zu danken. „Für was zum Beispiel?“, fragte ich. „Dafür, dass wir hier zusammen sind. Für das, was du in deinen Händen hältst!“ – Ich sah auf unsere eingeschmuggelte Bibel herunter. „Für all die Frauen, die Gott durch dieses Buch begegnen werden. Für die Flöhe und für ...“

Die Flöhe! Das war denn doch zuviel. „Betsie“, sagte ich, „selbst Gott kann mich nicht dazu bringen, für einen Floh dankbar zu sein.“ – „Seid dankbar in allen Dingen“, erwiderte Betsie. „Es heißt nicht in angenehmen Dingen. Flöhe gehören hierher, wohin Gott uns geführt hat.“ Und so dankten wir für die Flöhe. Aber diesmal war ich sicher, dass Betsie sich irrte.

Wir begannen, kleine Gottesdienste zu feiern in Baracke 28. Anfangs gingen Betsie und ich sehr vorsichtig vor. Aber als Abend um Abend verstrich und keine Aufseherin sich zeigte, wurden wir kühner. So viele wollten jetzt dabei sein, dass wir nach dem Abendappell einen zweiten Gottesdienst abhielten. Es war merkwürdig: Auf der Lagerstraße waren wir immer unter strenger Bewachung. Genauso war es in dem mittleren Raum der Bracke: Immer war dort ein halbes Dutzend Aufseherinnen und Lagerpolizisten anwesend. Aber in dem großen Schafraum gab es sogut wie keine Überwachung. Wir verstanden das nicht.

Eines Abends, als ich vom Holzsammeln zurückkam, wartete Betsie auf mich. Ihre Augen funkelten. „Wie du weißt“, sagte sie, „haben wir nie verstanden, warum wir hier in dem Raum so viel Freiheit hatten. Nun – ich bin dahintergekommen. An diesem Nachmittag, sagte sie, habe es einen Streit in ihrer Arbeitsgruppe gegeben, und sie hätten die Oberaufseherin gebeten, zu kommen und ihn zu schlichten. „Aber sie wollte es nicht! Sie wollte nicht durch die Tür gehen, und die Aufseherinnen wollten es auch nicht. Und weißt du, warum?“ Betsie konnte einen triumphierenden Ton nicht unterdrücken: „Der Flöhe wegen! Wortwörtlich hat sie gesagt: „Da wimmelt´s von Flöhen!“ (Aus: Corrie ten Boom, Die Zuflucht.)

Ein bewegender Bericht: Mitten in dem Grauen des Konzentrationslagers Ravensbrück kamen in Baracke 28 Menschen zum Glauben an Jesus. Wurden gerettet für die Ewigkeit. Inmitten der Todesbedrohung schuf Gott einen kleinen, geschützten Raum, in dem sein Wort gelesen und gehört, in dem gebetet und gesungen werden konnte. Und als Schutz gebrauchte Gott etwas unsagbar Einfaches und Simples: Flöhe nämlich. Etwas, das zunächst wie der pure Ekel aussah, wurde völlig unerwartet zur Rettung und zur Hilfe für viele Menschen. Es erwies sich, dass Gott selbst eine wimmelnde Floh-Plage dazu gebrauchen kann, um sie seinen Kindern zum Besten dienen zu lassen. Aber das alles wurde erst nach und nach deutlich und klar. Zunächst erschienen die kleinen blutsaugenden Plagegeister wie die reine Schikane.

Und darum: Wenn Sie das nächste Mal in eine schier aussichtslose Lebenssituation kommen, vergessen Sie die Flöhe nicht, werfen Sie ihr Vertrauen nicht weg, sondern bewähren Sie es!

Vielleicht hilft Ihnen auch ein „Rezept“ des bekannten Christen Andrew Murray aus England weiter, das dieser für harte Zeiten im Glauben entworfen hat. Murray litt sehr unter furchtbaren Rückenschmerzen, die von einer alten Verletzung herrührten. Eines Morgens nun im Jahr 1895 saß Murray in seinem Zimmer und frühstückte, als seine Wirtin eintrat und meldete, unten sei eine Frau, die in großen Schwierigkeiten stecke und fragen ließe, ob er nicht einen Ratschlag für sie habe. Murray griff zu einem Stück Papier, das er beschrieben hatte und sagte: „Geben Sie ihr diesen Ratschlag hier, den ich für mich selbst aufgeschrieben habe. Vielleicht findet sie ihn hilfreich.“ Und so lautete der Text:

„In Zeiten großer Schwierigkeiten sage: Erstens - Gott hat mich hierher gebracht. Es ist sein Wille, dass ich in dieser heiklen Lage bin. In dieser Gewissheit will ich ruhen. Als Nächstes sage: Seine Liebe wird mich auch hier umgeben und mir die Kraft geben, mich in dieser Prüfung als sein Kind zu bewähren. Dann sage: Er wird aus dieser Prüfung einen Segen für mich machen. Er wird mich Lektionen lehren, die ich jetzt lernen soll und in mir die Gnade wachsen lassen, die er für mich bereit hält. Und schließlich sage: Zu seiner Zeit wird er mich aus meiner schwierigen Lage befreien. Wie und wann, weiß er. Also sage: Ich bin hier, (1) weil Gott es will, (2) in seinem Schutz,  (3) in seiner Erziehung und (4) solange er will.“