Da brachten die Zeitungen vor ein paar Jahren einen witzigen kleinen Bericht über ein Zerwürfnis zwischen zwei Laubenpiepern in einer deutschen Kleingartenkolonie.
Was war geschehen?
Da hatte eine Frau Anzeige wegen Körperverletzung gegen ihre Garten-Nachbarin erstattet. Diese hatte ihr nämlich einen Eimer Wasser über den Kopf gekippt, allerdings nachdem sie vorher von der Klägerin mit Unkraut beworfen worden war. Die Nachbarn lägen schon seit einiger Zeit im Streit, berichtete die Polizei. Zur neuerlichen Eskalation war es nun ausgerechnet beim Unkrauthacken gekommen. Dabei sei sie – so die Klägerin – nur einmal ganz aus Versehen mit der Hacke gegen den Zaun gekommen. Daraufhin habe ihr der Ehemann der Garten-Nachbarin das Gerät entrissen, während diese selbst zum Wassereimer gegriffen habe. Die beiden Nachbarn prozessierten vor Gericht gegeneinander.
Solche und ähnliche Begebenheit spielen sich tagtäglich in Zehntausenden von Variationen in unserm Land und anderswo ab: Menschen tun sich Böses an. In kleinem und in größerem Maßstab. Weil sie Feinde sind. Und kein Ende in Sicht.
Ich denke, uns allen sind solche Dinge bestens vertraut. Sehr wahrscheinlich hat jeder von uns Ähnliches schon selbst erlebt: Dass er mit Menschen immer wieder Streit hatte. Sehr wahrscheinlich hat wohl jeder sich schon mal gefragt, was man nur machen soll, wenn mit einem bestimmten Menschen immer wieder Streit aufkommt und die Fronten längst verhärtet sind.
Ein Wort von Jesus, weist uns einen gangbaren Weg. Es handelt sich um das biblische Prinzip der „zweiten Meile“. „Wenn dich jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so gehe mit ihm zwei.“, sagt Jesus (Die Bibel, Matthäusevangelium 5, 41).
Das hört sich geheimnisvoll an. Worum geht es?
Zu den irdischen Lebzeiten Jesu war es üblich, dass römische Soldaten, die durch einen Ort kamen, sich einen beliebigen Bürger auf der Straße greifen durften, um dem ihr Gepäck aufzuladen. Und dann musste dieser arme Mensch die gesamte Ausrüstung des Legionärs (inklusive Waffen!) eine Meile weit schleppen, er mochte wollen oder nicht.
Das war natürlich sehr anstrengend und auch sehr demütigend. Kein Wunder, dass zwischen den Bürgern Israels und den römischen Besatzungstruppen viel Hass und Feindschaft bestand. Und Jesus knüpft nun an diese unselige, immer wieder Feindschaft stiftende Sitte an und sagt (sinngemäß): Wenn dich ein römischer Legionär zwingt, sein Gepäck eine Meile weit zu schleppen, dann überrasche ihn doch damit, dass du ihm nicht nach einer Meile das ganze Gepäck vor die Füße wirfst, sondern ihm die ganze Last freiwillig noch eine Meile weiter trägst, eben die "zweite Meile". Und Jesus wollte damit sagen: Setze dem Negativen, der Feindschaft etwas Überraschendes, Positives entgegen. So wird die Feindschaft überwunden.
Bitte beachten Sie: Jesus schlägt nicht vor, dass man mit engelgleichen Worten auf den römischen Legionär einreden soll, um ihn vielleicht etwas friedlicher zu stimmen. Jesus spricht hier überhaupt nicht vom Reden, sondern vom Tun. Und das scheint mir sehr bemerkenswert zu sein: Wir alle erleben, dass man mit bestimmten Menschen und in bestimmten Streitfällen mit Reden einfach nicht weiterkommt. Im Gegenteil: Jedes Wort scheint die Missverständnisse nur zu vertiefen und den Streit weiter anzuheizen. Und in solchen Fällen, wo mit Worten echt nichts mehr geht, da - sagt Jesus - gehe bitte die "zweite Meile" mit deinem Widersacher: Tue etwas, das ihn überrascht. Gib ihm etwas, womit er auf keinen Fall rechnet! Unterlaufe das Böse durch etwas Überraschendes, etwas Positives und entschärfe es auf diese Weise.
Die „zweite Meile“ zu gehen, heißt den Gegner mit Güte zu überraschen, sodass er innerlich ins Stolpern kommt, staunt und anfängt nachzudenken: Warum hat der andere das jetzt getan?
Die „zweite Meile“ zu gehen, heißt, Phantasie zu entwickeln und nachzudenken, womit man dem anderen etwas richtig Gutes tun könnte.
Die „zweite Meile“ zu gehen, heißt, den Widersacher aus dem Konzept zu bringen und seine fest gefügte Welt aus Freund-und Feind-Denken durcheinander zu wirbeln.
Die „zweite Meile“ zu gehen, heißt nicht, dem anderen stumpf und willenlos nachzugeben. Das wäre zu einfach! Das wäre Schwäche! Nein, die „zweite Meile“ ist viel mehr: Sie nimmt den Feind als Mensch in den Blick und tut ihm echt etwas Gutes. Die „zweite Meile“ behandelt den Feind nicht als Feind!
Einer, der dieses biblische Prinzip der „zweiten Meile“ einmal in sehr origineller Weise angewendet hat, ist der Essener Pfarrer Wilhelm Busch. Der hielt mit jungen Leuten aus Essen regelmäßig eine Bibelstunde in einem Saal ab. Nun war es so, dass Pfarrer Busch etlichen Leuten damals ein Dorn im Auge war. Sie versuchten immer wieder, seine Veranstaltungen zu stören. Bei dieser Bibelstunde nun lief das so, dass seine Gegner einen kräftigen Schlosser in den Raum über dem Saal schickten, wo Busch sich mit den jungen Leuten traf. Und dieser Schlosser drosch nun da oben mit einem Hammer auf den Fußboden, dass nur so dröhnte. An eine ungestörte Bibelstunde war unten nicht mehr zu denken.
Nach Ende der Veranstaltung ging Pfarrer Busch nach oben, wo er den Schlosser antraf, der gerade gehen wollte. „Einen Moment, noch bitte“, sagte Busch, „sagen Sie, wie hoch ist eigentlich ihr Lohn für eine Stunde Arbeit.“ Der verblüffte Schlosser sagte es ihm. Da zog Busch seine Brieftasche, entnahm ihr den genannten Betrag, gab ihn dem Mann und sagte: „Ich möchte nicht, dass Sie heute umsonst für uns gehämmert haben. Hier ist Ihr Stundenlohn!“ Von diesem Augenblick an hörte das Gehämmere auf und kam nie wieder!
Hier haben Sie das Prinzip der „zweiten Meile“ praktisch vor Augen. Es enthält immer etwas Überraschendes, etwas überraschend Positives, dass das Herz des anderen erreicht und verblüfft.
Und darum: Wenn Sie einen Feind haben, mit dem Sie schon lange im Streit leben, und dem Sie regelmäßig über den Weg laufen, dann bitte, versuchen Sie doch einmal, das Prinzip der „zweiten Meile“ anzuwenden! Sie werden völlig neue Erfahrungen machen.
Vielleicht ist es auch so, dass Sie nicht genau wissen, wie in Ihrem besonderen Fall die „zweite Meile“ aussehen könnte. Wenn das der Fall sein sollte, dann beraten Sie sich doch mit anderen, bis ihnen klar wird, wie es gehen könnte.
Ein Wort noch zum Schluss: Das Problem beim Prinzip der „zweiten Meile“ ist nicht, dass es etwa wirkungslos wäre. Es ist im Gegenteil sehr wirkungsvoll! Das Problem liegt eher darin, dass wir sehr oft die „zweite Meile“ nicht gehen wollen. Und zwar darum nicht gehen wollen, weil wir dann auf Rache und Vergeltung gegenüber unserem Feind verzichten müssten. Wir sind oft regelrecht versessen auf Rache und Vergeltung und weigern uns dann strikt, die „zweite Meile“ zu gehen. Sie erscheint uns als ungerechte Überforderung! Von Natur aus zucken wir vor der „zweiten Meile“ zurück!
Am Ende werden wahrscheinlich nur diejenigen die „zweite Meile“ gehen, die persönlich erlebt haben, dass Gott als allererster mit Ihnen die „zweite Meile“ gegangen ist. Am Ende werden nur diejenigen die „zweite Meile“ gehen, die persönlich erlebt haben, wie unglaublich großzügig Gott mit ihnen umgeht. Am Ende werden nur diejenigen die „zweite Meile“ gehen, die Gottes Vergebung, Liebe, Freundlichkeit und grenzenlose Güte selbst erfahren haben und deren Leben davon in der Tiefe berührt wurde.
Wenn Sie diese
Erfahrung noch nicht gemacht haben, möchte ich Sie ermutigen, Jesus Ihr Leben vorbehaltlos zu öffnen, damit er Ihr Leben in Tiefe berühren kann. Sprechen Sie ihn an. Sagen Sie ihm, dass Sie seine
Vergebung, Liebe und Freundlichkeit so gern erfahren würden. Bitten Sie ihn, in Ihr Leben zu kommen, und es groß und weit und frei zu machen. Erleben Sie, wie er mit Ihnen die „zweite Meile“
geht, dann werden Sie auch die Bereitschaft entwickeln, mit Ihren Feinden die „zweite Meile“ zu gehen!