Sie hatten sich ihren größten Wunsch erfüllt: Ein Ein-Familienhaus. Gebaut hatte das überglückliche Ehepaar auf einem Grundstück, das die Frau von ihren Eltern geschenkt bekommen hatten. Ein Architekt aus ihrem Ort hatte alles geplant. Das Haus wurde fertiggestellt und die Familie zog voller Freude ein.
Allerdings hatte die Sache einen Schönheitsfehler: Der Architekt hatte nämlich versäumt, den Boden untersuchen zu lassen. Nun stellte sich heraus, dass es Moorboden war, der das Gewicht des Hauses nicht tragen konnte. Tatsächlich geriet das Haus in Schieflage und sackte ab. Kreuz und quer liefen Risse durch die Wände, manche so groß, dass man hindurchschauen konnte. Das Haus wurde unbewohnbar. Natürlich klagte das Ehepaar gegen den schlampigen Architekten. Der aber wollte nicht zahlen für sein Versagen. Also überschrieb er seine vier Häuser an seine Kinder und beantragte daraufhin Privat-Insolvenz: Er sei völlig mittellos, ließ er das Gericht wissen. Das Ehepaar blieb auf seinem zerstörten Haus und auf einem Berg von Schulden sitzen. Der Architekt weigerte sich, auch nur ein Wort mit ihnen zu reden. Er öffnete ihnen noch nicht einmal seine Haustür.
Ein schlimme Sache! Und jetzt überlegen wir mal: Wie wird die Beziehung des Architekten zu diesem Ehepaar in Zukunft aussehen? Nun, solange er nicht zu seiner Verantwortung steht, wird er den beiden nicht begegnen können. Er wird es vermeiden, sie zu treffen, spontan die Straßenseite wechseln, wenn er sie sieht. Er wird die Straße nicht mehr betreten, in der sie wohnen und er wird sich auf keinen Fall in die Nähe ihres Hauses wagen. Irgendwann werden die Nachbarn des Ehepaars von seinem Schurkenstück erfahren, schließlich auch die anderen Bewohner der Straße. Und immer wenn das geschieht, wird seine Welt ein bisschen kleiner, ein bisschen enger werden. Es wird sein wie in einem unsichtbaren Gefängnis.
Unglücklicherweise wirkt nun genau derselbe Mechanismus auch in Bezug auf den Lebendigen Gott. Da spielt sich ganz dasselbe ab. Und hier kommen wir ins Spiel: Was meinen Sie: Wenn Gott unser Leben ansieht: Wäre er mit allem einverstanden, was er sieht? Ich meine: Gott ist ja bestimmt nicht kleinlich, aber mit allem einverstanden? Wäre er doch wohl eher nicht, oder? Man lebt ja so allerhand zusammen: Gute und weniger gute Dinge ...
Und diese Dinge haben – leider – eine völlig unerwünschte Nebenwirkung: Sie führen eine Beziehungsstörung herbei zwischen Gott und uns. Sie trennen die Verbindung: Wie bei dem Architekten und dem Ehepaar. Unsere Welt wird kleiner und enger – viel enger! Wir verschließen uns die ganze große Welt Gottes! Wir können ihm nicht mehr frei begegnen. Wir leben – wie in einem unsichtbaren Gefängnis.
Das Erstaunliche ist, dass Gott sich mit dieser Situation einfach nicht abfindet. Jesus hat einmal gesagt: „Der Menschensohn (damit meinte Jesus sich selbst) ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.“ Und er meinte damit: Gott gibt nicht auf! Er klopft an die vergitterten Fenster unseres unsichtbaren Gefängnisses. Er ruft und sagt, dass wir ruhig rauskommen können. Er sagt, dass er uns auf keinen Fall anklagen und fertig machen wird. Er sagt, dass wir noch nicht mal den Schaden wieder gutmachen müssen, den wir angerichtet haben. Er sichert uns zu, dass er selbst schon längst alles bezahlt hat. Er sagt uns, dass wir aus unserem unsichtbaren Gefängnis herauskommen sollen, zu ihm, um frei zu sein.
Gott ist ein Gott, der Menschen sucht, die im unsichtbaren Gefängnis sitzen. Gott ist ein Gott, der nicht ruhig sitzen bleiben kann, während wir Menschen in der Enge verkommen, dazu liebt er uns viel zu sehr. Gott ist ein Gott, der mit dem Leben seines Sohnes Jesus am Kreuz längst schon für alles bezahlt hat, was unsereiner in seinem Leben an Negativem so zusammengelebt hat. Gott ist ein Gott, der Freiheit in unser Leben bringen will.
Er ist es, der die Verbindung wieder herstellt. Er ist es, der uns aus der Enge wieder herausholt, unter Aufbietung aller seiner Kräfte, wenn wir nur bereit sind, uns rausholen zu lassen.
Das ist wie mit jenen Bergleuten, die am 24. Oktober 1963 im niedersächsischen Bergwerk von Legende eingeschlossen wurden, als plötzlich - ohne jede Vorwarnung - der Klärteich 12 über dem Stollengelände in die Tiefe durchbrach. Eine halbe Million Kubikmeter Wasser und Schlamm ergossen sich innerhalb kürzester Zeit in die Grube und überfluteten die Strecken unter Tage. 29 Bergleute verloren sofort ihr Leben. Aber elf Kumpel lebten noch: Eingeschlossen in einem Hohlraum, der mit Luft gefüllt war. In sechzig Meter Tiefe: In Dunkelheit, Enge und lastender Stille. Ihre Lieben zu Hause, das ganze Leben über Tage - alles war mit einem Mal wie abgeschnitten.
Die Tage vergingen, während die Verantwortlichen oben auf dem Bergwerksgelände alles daran setzten, um die Elf doch noch zu finden und zu retten. Sie wollten nicht aufgeben und suchten und suchten nach den Elf, die noch nicht gefunden worden waren und noch am Leben sein konnten. Und dann, nach über einer Woche, wurden sie tatsächlich entdeckt: Mit unendlicher Vorsicht wurde ein schmaler Schacht zu den Eingeschlossenen vorgetrieben - gerade groß genug, um etwas Nahrung und Wasser zu ihnen zu bringen. Und dann kam das Schwerste: Einen Rettungsschacht zu schaffen, groß genug, um einen ausgewachsenen Menschen ans Tageslicht zu bringen. Aber dann - irgendwann am vierzehnten Tag - erlebten die Eingeschlossenen in der Tiefe, wie die Rettungsbohrung zu ihnen durchbrach. Mit unendlicher Vorsicht wurde einer nach dem anderen mit einem eigens hierfür konstruierten Gerät - der sogenannten "Dahlbusch-Bombe" - nach oben geholt. Und dann standen sie oben: Alle elf. Und sie wussten: Sie waren gerettet.
Wenn der Lebendige Gott uns sucht, um uns aus dem unsichtbaren Gefängnis herauszuholen in die Freiheit eines Lebens mit ihm, dann macht er´s wie die Retter damals in Lengede: Er gibt nicht auf. Er lässt nicht nach. Er sucht uns und sucht, bis er uns gefunden und gerettet hat.
Vergessen wir das nicht über den vielen Dingen, die uns den Tag über beschäftigen: Wir sind Leute, die der Lebendige Gott sucht und sucht, um uns aus der Enge unseres Lebens in die Weite zu führen.